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Heiko Maas

Sicherheit für Europa Wir wollen und brauchen die Nato

Heiko Maas
Von Heiko Maas
Welche Rolle soll Deutschland im Syrienkonflikt einnehmen, wie kann Europa weiterhin Großbritannien als außenpolitischen Partner einbeziehen - und hat Frankreichs Staatschef Macron recht, wenn er die Nato als hirntot bezeichnet?
Bundesaußenminister Heiko Maas: "Es ist gut und richtig, dass Deutschland in diesen Tagen Außenpolitik diskutiert"

Bundesaußenminister Heiko Maas: "Es ist gut und richtig, dass Deutschland in diesen Tagen Außenpolitik diskutiert"

Foto: Liselotte Sabroe/ Ritzau Scanpix/ AFP

Der Präsident der Vereinigten Staaten zieht seine Truppen aus dem Nordosten Syriens zurück, ohne die engsten Partner vorher einzubinden. Die Türkei interveniert, ohne sich durch Warnungen aus Europa und den USA beeindrucken zu lassen. Der französische Präsident erklärt den Hirntod der Nato.

Das alles passiert innerhalb weniger Tage, als laufe die Weltgeschichte im Zeitraffer. Es wirft grundlegende Fragen auf - nach der Verlässlichkeit unserer Partner, nach der Stärke unserer Bündnisse, nach der Sicherheit unseres Landes und nach dem richtigen Weg in die Zukunft.

Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist kein Ende der Geschichte eingetreten; die Zukunft scheint offener, unberechenbarer, unsicherer denn je. Die Ost-West-Frage ist für Washington längst nicht mehr die, sondern eine Frage der Weltpolitik - ganz unabhängig davon, wer im Weißen Haus regiert. Das ist die Lage da draußen in der Welt. Es ist deshalb gut und richtig, dass Deutschland in diesen Tagen Außenpolitik diskutiert.

Worum geht es jetzt? Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass wir in Deutschland in Frieden und Sicherheit leben. In den letzten Jahren ist immer wieder gesagt worden: Deutschland muss mehr Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt übernehmen. In diesem historischen Moment sehen wir, dass sich über diese Aufgabe hinaus eine zweite, noch drängendere stellt: Wir müssen Verantwortung übernehmen, um überhaupt unsere eigene Sicherheit in Europa und Deutschland zu bewahren.

Deshalb gehört die politische Frage ins Zentrum, welchen internationalen Rahmen wir errichten, um auch in Zukunft Frieden und Sicherheit für Europa und unser Land zu bewahren. Drei Punkte sind hier entscheidend:

  • Erstens: Präsident Macron hat recht, wenn er ein starkes und souveränes Europa ins Zentrum seiner Überlegungen stellt. In Zukunft werden wir Europäer viel mehr Verantwortung für unsere Sicherheit übernehmen müssen. Deshalb bauen wir gemeinsam mit Frankreich unter Hochdruck an einem Europa, das in der Sicherheitspolitik viel enger zusammenarbeitet. Der Aachener Vertrag, die immer engere Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Fähigkeiten, die Interventionsinitiative, die Stärkung des zivilen Krisenmanagements sind Meilensteine. Politische Kärrnerarbeit liegt vor uns, gerade in der anstehenden EU-Präsidentschaft.
  • Zweitens, wie wir das Ziel eines starken und souveränen Europas am besten erreichen können, dazu müssen wir mit unseren französischen Freunden einen gemeinsamen Weg finden. Für Deutschland ist klar: Es wäre ein Fehler, wenn wir die Nato unterminieren würden. Ohne die Vereinigten Staaten sind weder Deutschland noch Europa im Stand, sich wirkungsvoll zu schützen. Das hat zuletzt die russische Verletzung des INF-Vertrags sehr deutlich gemacht. Eine Außen- und Sicherheitspolitik ohne Washington wäre unverantwortlich, eine Entkopplung europäischer und amerikanischer Sicherheit gefährlich. Auf viele Jahre werden wir die Nato brauchen. Sie steht für Lastenteilung, für internationale Kooperation, für Multilateralismus. Und wenn Europa eines Tages fähig sein wird, seine Sicherheit selbst zu verteidigen, dann sollten wir die Nato weiterhin wollen. Ja, wir wollen das starke und souveräne Europa. Aber wir brauchen es als Teil einer starken Nato und nicht als deren Ersatz.
  • Drittens dürfen wir die Europäer in der Sicherheitsfrage nicht spalten. Mit Deutschland kann es keine Sonderwege geben, nicht gegenüber Moskau und auch nicht in anderen Fragen. Unsere Nachbarn in Polen und im Baltikum können darauf vertrauen, dass wir ihre Sicherheitsbedürfnisse so ernst nehmen wie unsere eigenen. Über ihre Köpfe hinweg wird das Europa, das wir brauchen, nicht gelingen. Im Gegenteil, unsere östlichen Nachbarn würden ihre Zukunft in einer Bilateralisierung ihrer Beziehungen zu Washington suchen. Deshalb: Ja, das starke und souveräne Europa ist ein Vorhaben, das sich Deutschland wie Frankreich auf die Fahne geschrieben haben. Aber es ist eines, bei dem wir niemanden zurücklassen dürfen.

In diesen dramatischen Zeiten müssen wir Kurs halten auf ein kraftvolles Europa - nicht als ein Nachfolgemodell, sondern als ein Motor zur Revitalisierung des transatlantischen Bündnisses. Nicht nur als deutsch-französisches Projekt, sondern als Gemeinschaftswerk aller Europäer. Nur so wird es wirkliche Sicherheit für Europa geben. Deutschland als Land im Zentrum Europas muss in dieser Frage eine zentrale, vermittelnde und ausgewogene Rolle einnehmen - in Europa und gegenüber den Vereinigten Staaten. Wenn wir diese Führung nicht übernehmen, wird es niemand tun. Hier Stimme der Vernunft zu sein, ist heute unsere wichtigste außen- und sicherheitspolitische Verantwortung.

Daran arbeiten wir ganz konkret - etwa in der Ukraine-Krise, durch die Unterstützung des Verfassungsprozesses in Syrien, in der Frage des iranischen Atomprogramms, bei der Stabilisierung der gewaltgeplagten Sahelzone, in den Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Libyen.

Eine Idee, an der ich mit meinem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian arbeite, und die für mich ins Zentrum der deutschen EU-Präsidentschaft gehört, steht für mich exemplarisch für diesen Kurs: der Europäische Sicherheitsrat.

Kein Projekt für morgen, aber eine wichtige Orientierungsmarke am Horizont. Wir brauchen ein solches Gremium als den Ort, an dem die Europäer ihre außen- und sicherheitspolitische Arbeit bündeln, im institutionellen Gefüge der Europäischen Union und darüber hinaus. Großbritannien muss mit von der Partie sein, auch wenn es die Union verlässt. Und Washington muss wichtiger Partner sein. Hier können wir den Nukleus der künftigen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik schaffen, die wir in stürmischen Zeiten brauchen.