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  4. Extremismus-Vorwürfe: Wie Hamburgs Grüne sich gegenseitig bekämpfen

Hamburg Extremismus-Vorwürfe

Die parteiinterne Schlammschlacht der Hamburger Grünen

Aufgrund des Streits gibt es in Mitte nun zwei Fraktionen der Grünen Aufgrund des Streits gibt es in Mitte nun zwei Fraktionen der Grünen
Aufgrund des Streits gibt es in Mitte nun zwei Fraktionen der Grünen
Quelle: Getty Images
Nach ihrem überraschenden Wahlerfolg tobt im Bezirk Hamburg-Mitte eine parteiinterne Schlammschlacht. Mitglieder zanken über Extremismus-Vorwürfe und Halbwahrheiten. Jetzt läuft eine Frist ab.

Am 7. Juni steht Martin Bill, stellvertretender Landeschef der Hamburger Grünen, noch lange vor seinen Kindern auf, wie er erzählt, setzt sich an den Computer und schreibt eine Mail. Die Empfänger: Shafi Sediqi und Fatih Can Karismaz, Grünen-Mitglieder und Abgeordnete in der Bezirksversammlung Mitte. Bill lädt die Männer zu einem Gespräch noch am selben Nachmittag ein – die Vorwürfe wiegen schwer. Um 4.57 Uhr klickt er auf Senden. Es ist der Versuch, eine parteiinterne Schlammschlacht abzuwenden.

Während sich die Grünen nach den historischen Wahlerfolgen der vergangenen Wochen landauf landab im Wohlfühlmodus in die Sommerpause verabschieden, geht es im Bezirk Hamburg Mitte zwischen den Parteimitgliedern zur Sache. Von „Rufmord“ ist die Rede, „rassistischen Aufnahmekontrollen“, „unsäglichen Spekulationen und Gerüchten“. Anwälte sind eingeschaltet – es wird untereinander gezankt bis zum Letzten.

Seit Donnerstag vergangener Woche gibt es in dem Bezirksparlament zwei Grünen-Fraktionen, „Grüne 2“ nennen sich die sechs Ausscherer, die sich mit dem Landesvorstand inzwischen über die Medien einen beispiellosen Schlagabtausch liefern. Der Streit hat die Partei auf Bezirksebene gespalten – und so die Mehrheit gekostet.

Viel gravierender als der Machtverlust dürfte jedoch der Image-Schaden sein. Denn während die Grünen bundesweit zulegen, wirft der Fall ein Schlaglicht auf die möglichen Schattenseiten ihrer neuen Popularität. Beispielhaft zeigen die Probleme in Mitte, vor welchen Herausforderungen eine Partei steht, deren Metamorphose vom Außenseiter zum großen politischen Player sich im Eiltempo vollzieht.

Worum es in dem Streit zwischen den Grünen geht

Ausgangspunkt des Streits war eine Kontroverse um die Aktivitäten von Shafi Sediqi und Fatih Can Karismaz: Einer von ihnen soll auf Facebook für eine salafistische Hilfsorganisation geworben und auch für den Verein gespendet haben. Es geht um mögliche Propaganda und Unterstützung der islamischen Hilfsorganisation „Ansaar International“, die als Hauptziel angibt, Muslimen in aller Welt helfen zu wollen.

Die Sicherheitsbehörden haben den Verein schon länger im Visier: Ansaar wird immer wieder im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen erwähnt, der Verein habe intensive Kooperationen mit anderen Personen der extremistisch-salafistischen Szene, heißt es da.

Dem anderen Abgeordneten wird vorgeworfen, der radikalislamischen Bewegung Mili Görüs nahezustehen, die lange vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Der Landesvorstand der Grünen hatte mitgeteilt, dass begründete Zweifel aufgekommen seien, ob sich die beiden Abgeordneten „in vollem Umfang zum Grundgesetz und unseren Grundwerten bekennen“.

Die Gegenseite hingegen spricht von Rufmord – beide Beschuldigten betonten, Extremismus in jeder Form abzulehnen. Meryem Celikkol, die die beiden Männer unterstützt und zur Fraktionsvorsitzenden der „Grünen 2“ ernannt wurde, spricht von „der größten Enttäuschung, die sie bei den Grünen jemals erlebt“ habe. „Die Kommunikation ist denkbar schlecht gelaufen, deshalb hat sich die Lage derart zugespitzt. Und das völlig unnötig“, sagt die Politikerin.

Der Landesvorstand habe Extremismus-Vorwürfe an die Presse lanciert, ohne einmal mit den Betroffenen gesprochen zu haben. „Beiden geht es nach den Vorfällen sehr schlecht, die psychische Belastung ist enorm.“ Vorschläge, unbeteiligte Parteimitglieder als Mediatoren einzusetzen, habe der Landesvorstand ausgeschlagen. Auch habe es keine konkreten Gesprächsangebote gegeben. Anstatt die öffentlich beschuldigten Parteimitglieder anzuhören, schreite man „seitens des Grünen Funktionärskaders zur Vorverurteilung“.

Ich war grundsätzlich der Meinung, dass die Sache nicht über die Medien ausgetragen werden soll und wollte den Konflikt nicht noch befeuern
Martin Bill, Stellvertretender Landeschef der Hamburger Grünen
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Nach Einsicht in den E-Mail-Verlauf zwischen Landesvorstand und Grünen-Geschäftsführung auf der einen und den Beschuldigten auf der anderen Seite, stellt sich die Lage etwas anders dar: So folgten auf die erste Einladung Martin Bills noch weitere Gesprächsangebote und Bitten um Terminfindung, zuletzt in den Tagen unmittelbar vor der Pressekonferenz der „Grünen 2“. Kurz bevor die sechs Mitglieder vor die Kameras traten, sagten sowohl Sediqi als auch Karismaz Termine ab, die ihnen die Grünen über ihren Anwalt unterbreitet hatten. „Seit der Pressekonferenz herrscht Funkstille, eigene Gesprächsvorschläge haben die beiden keine gemacht“, sagt Martin Bill.

Warum er nicht früher versucht hat, Behauptungen der Gegenseite zu entkräften? „Ich war grundsätzlich der Meinung, dass die Sache nicht über die Medien ausgetragen werden soll und wollte den Konflikt nicht noch befeuern“, sagt Bill, der in den vergangenen Wochen für seine Partei die Krisenkommunikation übernommen hat.

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Dem Grünen-Vorstand bleibt nun die Sommerpause, um die Scherben aufzukehren. Nachdem die Partei in Mitte trotz des Wahlerfolgs nur noch zweitstärkste Fraktion hinter den Sozialdemokraten ist, haben Bill und seine Kollegen die sechs aus dem Gegenlager aufgefordert, bis zum 1. Juli aus der Partei auszutreten.

Der Grund: Parteischädigendes Verhalten. „Wir werden aber nicht austreten“, stellt Meryem Celikkol klar. Im Zweifel muss ein Schiedsgericht entscheiden. Derweil geht es für Martin Bill und seine Kollegen um die Frage, wie derartige Querelen künftig zu vermeiden sein werden – auch in anderen Bundesländern werden Grüne in dieser Frage jetzt wohl die Blicke nach Hamburg richten. So waren bereits Karenzzeiten im Gespräch, die Neumitglieder einhalten sollen, bevor sie für Posten kandidieren dürfen. Das allerdings, betont Bill, würde dem Wahlgesetz widersprechen. „Jeder kann kandidieren“, sagt der Politiker. „Da haben wir keine Handhabe.“

Eine erste Vorsichtsmaßnahme gibt es aber schon: Seitdem die Vorwürfe intern bekannt sind, lädt der Kreisvorstand in Mitte, der auf die Aufnahme von Neumitgliedern zuständig ist, nach Informationen dieser Zeitung jedes potenzielle Mitglied zu einem Kennenlerngespräch ein und prüft die Motivation. Bisher reichte ein Antrag in Textform. 2017 hatten die Hamburger Grünen etwa 1500 Mitglieder, inzwischen sind es um die 2500. Bis zum Morgen des 7. Juni war das für die Grünen ausschließlich ein Grund zur Freude.

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