Bäume umarmen reicht nicht

Symbolpolitik im bayerischen Wald

14:50 Minuten
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern umarmt einen Baum im Hofgarten hinter der bayerischen Staatskanzlei. 10.07.2019.
Markus Söder kündigt große Vorhaben an, doch dann komme nur Klein-Klein, sagen Kritiker. © picture alliance/dpa/Peter Kneffel
Von Susanne Lettenbauer · 22.01.2020
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Ministerpräsident Markus Söder kündigte an, Bayern wolle 30 Millionen neue Bäume pflanzen. Das klingt viel. Die Zahl relativiert sich bei genauerem Hinsehen aber schnell. Es wird auch reichlich abgeholzt im Freistaat.
Das Bild ging um die Welt, naja, zumindest durch die deutschen Medien: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder umarmt an einem sonnigen Julitag 2019 einen Baum im Münchner Hofgarten, gleich neben der Staatskanzlei. Kameras klicken, die Pose stimmt. Die Staatsregierung startet an diesem Sommertag medienwirksam ihre Klima-Offensive. Ein radikaler Umbau des Staatswaldes wird beschlossen. Die Klimastrategie ist auf dem Weg. Und eine Pflanzung von 30 Millionen Bäumen:
"Ich habe schon mehrere Bäume gepflanzt. Es heißt ja, ein Mann muss irgendwann einmal Bäume pflanzen, auch bei mir im Garten und man bekommt öfters mal welche geschenkt, aber es ist anders als früher. Während es früher so ein Ja-macht-man-auch-mal-aus-Tradition, ist es jetzt Strategie der gesamten Staatsregierung."

Große Ankündigungen

Als Bayerns Ministerpräsident das sagt, hat er drei Monate später, Ende Oktober mit Mühe eine winzige Tanne auf einer Freifläche im Forstenrieder Park bei München in den Boden gebracht, zwischen zahlreichen Baumstümpfen klimageschädigter Fichten.
Ein Setzling, knapp 30 Zentimeter hoch. Fast genauso hoch, wie das dürre Olivenbäumchen, das er ein halbes Jahr zuvor im April am Rand der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba unter dem Beifall internationaler Gäste pflanzte. Das Ziel in Äthiopien: vier Milliarden Bäume pro Jahr. In Bayern sind es 30 Millionen in fünf Jahren.
Vier Wochen später: In einem Hochtal am Sudelfeld bei Bayrischzell entdecken Wanderer, dass zwei Waldbesitzer rund zehn Hektar bayernweit einzigartigen, gut einhundert Jahre alten Lärchenwald kurzfristig abgeholzt haben, obwohl er als Biotop unter besonderem Schutz stand. Eine Mondlandschaft im Landschaftsschutzgebiet. Einer der Waldeigentümer ist der Künstler und Designer Rolf Sachs, Sohn des Playboys Gunter Sachs und Stiefsohn von Brigitte Bardot.

Der Wald war gar kein Wald

Marius Benner vom zuständigen Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Rosenheim:
"Wir bedauern zutiefst, was da oben passiert ist auf der Seeon-Alm und können die Aufregung um die Situation da oben sehr sehr gut verstehen. Für uns ist nicht nachvollziehbar, wie die Waldbesitzer so handeln konnten."
Bei einem Großteil des abgeholzten Lärchenwaldes von circa 6,4 Hektar handele es sich aber gar nicht um Wald im Sinne des Waldgesetzes für Bayern, erklärt das Amt, sondern um landwirtschaftliche Flächen. Es seien Weideflächen, welche seit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes im Jahre 2010 nicht mehr als Wald, sondern als landwirtschaftliche Flächen gelten.
Ein Kahlschlag an sich stelle im übrigen waldrechtlich noch keine Rodung dar und ist, soweit nicht im Schutzwald gelegen, genehmigungsfrei, nicht anzeigepflichtig und erlaubt, so das Rosenheimer Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
"Per se darf ein Grundstückseigentümer, ein Waldbesitzer erstmal im normalen gesetzlichen Rahmen in seinem Wald machen, was er machen möchte. In dem Fall ist es aber so, dass aufgrund der Biotopeigenschaft und der Lage im Landschaftsschutzgebiet diese Maßnahmen der Erlaubnis bedurft hätten."

Berater wurden eingespart

Was genau erlaubt ist und was nicht, das erklären eigentlich die Forstämter Privatwaldbesitzern in Bayern. Aber, so Hans Urban, forstpolitischer Sprecher der bayerischen Grünen:
"Ich vermute, dass es nicht aus Absicht oder aus Unwissenheit passiert ist. Das sind die Auswirkungen eines katastrophalen Sparprogrammes in der Beratung. Wir haben auf ganz Bayern nur drei forstwirtschaftliche Berater."
Weg vom Voralpenland Richtung München. Entlang der Autobahn A96 Richtung Lindau reihen sich die Gewerbegebiete aneinander. Gilching betreibt vier, Gräfelfing eines, Germering drei und Gauting - Gauting hätte auch gern ein Gewerbegebiet an der Autobahn, obwohl der Ort fünf Kilometer entfernt liegt. Dafür soll ein Bannwald gerodet werden. Dass es auch noch mehrere Trinkwasserbrunnen in dem Wald gibt, geschenkt.
Ähnlich ernstgemeinte Planungen für Gewerbegebiete in Wäldern gibt es in ganz Bayern: in Weiden in der Oberpfalz, in Neuburg am Inn, in Schorn bei Starnberg und eben zwischen Gilching und Gauting.

Biologin äußert Bedenken

Wie passt das zur Klimawaldstrategie von Markus Söder?
"Auf den vorgesehenen 60 Hektar für das Gesamtgebiet sind über 30 Hektar der Bannwald, der voll gerodet werden soll und dann eben ausgeglichen werden soll auf jetzigen Ackerflächen. Da wo jetzt Maisacker ist, der bestimmt nicht so günstig ist für Baumpflanzungen, sollen dann Setzlinge gepflanzt werden. Und die sind nach 30 Jahren noch kein richtiger Wald."
Biologin Ellen Hacker begleitet Naturschützer Schorn. Sie stammt aus Gauting und empfindet die Planungen für das Gewerbegebiet als absurd. Was ihr auffällt: die hohe Fluktuation der kommunalen Umweltbeauftragten. Immer wieder sitzt ein neuer Ansprechpartner im Rathaus:
"Das hier wird ja als Vorzeigeprojekt gemacht für ein "ökologisches Gewerbegebiet", heißt es. Das kann einfach niemals sein! Ein "ökologisches Gewerbegebiet" kann man dann entwickeln, wenn man bereits Flächen hat, die bereits versiegelt sind, aber ich kann nicht erst einen Wald roden, hinterher dann irgendwo was aufforsten und dann behaupten, das wäre ein "ökologisches Gewerbegebiet, und dann noch dazu zu sagen: Hier können Biotope entstehen, hier sind Arten, die vorher nicht da waren. Hier in diesem Wald, das ist bereits ein intakter Lebensraum. Also man kann nicht sagen, es ist wertloser Wald. Wertlosen Wald gibt es nicht mehr heute."
Ellen Hacker steht mit dem Umweltschützer Schorn vor einem Wald in der Nähe Gautings.
Die Biologin Ellen Hacker äußert Zweifel am ökologischen Gewerbegebiet.© Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer
Gautings Bürgermeisterin Brigitte Kössinger, CSU, treibt die Planungen zu dem "ökologischen Gewerbegebiet" voran. Die Juristin Kössinger arbeitete vor ihrer Wahl am Bayerischen Landesamt für Finanzen.
Als Vorsitzende des wirtschaftsnahen Vereins "Regionalmanagement München Südwest, der dem sogenannten "Raumordnerischen Entwicklungskonzept München Südwest" zuarbeitet, gilt sie als gut vernetzt mit den Entscheidungsbehörden des Freistaates.

"Eigentlich ist das Etikettenschwindel"

"Die Aktivität vom Ministerpräsidenten Söder ist eher, na wie heißt es so schön, Schaufensterpolitik", sagt Naturschützer Schorn.
"Ich zeige euch jetzt mal was Großes, Schönes her, weiß aber, dass es eigentlich gar nicht so viel Neues ist, aber ich sage mal, es ist neu. Und das ist eigentlich Etikettenschwindel."
Etikettenschwindel? Aus der Staatskanzlei klingt das ganz anders.
30 Millionen Bäume für Bayern. Und trotzdem nicht uneingeschränktes Lob für Markus Söder? Deshalb dreht die Staatsregierung eigene youtube-videos.
"Bayern ist Waldland Nummer 1. Ist der Wald nur der Schönheit wegen da?", fragt Ministerpräsident Markus Söder im Video.
Fünf Millionen? Und keine 30 Millionen? Und warum eine Million netto? Weil 25 Millionen Bäume bereits sowieso eingeplant waren im Aufforstungsprogramm der Staatsforsten?
"Ich hatte vor kurzem mit einem Förster gesprochen über dieses Projekt und der hat sich den Plan durchgelesen, ich möchte jetzt den Namen nicht nennen, der meinte, es ist nichts darüber hinaus, was die Staatsforsten nicht sowieso schon machen, denn die forsten ja immer auf", meint die Biologin Ellen Hacker aus Gauting.
"Das ist so typisch Markus Söder. Eine ganz große Ankündigung für Klein-Kleinmaßnahmen", nimmt Oppositionsführer Ludwig Hartmann von den bayerischen Grünen das Pflanzprojekt genüsslich auseinander.
"Man muss sich mal die Größe von Bayern anschauen. Er hat angekündigt, im Prinzip nur eine Million Bäume mehr pro Jahr zu pflanzen als das, was sowieso schon geplant ist. Wenn man sich anschaut, der Freistaat Bayern hat allein im Staatsbesitz 750 Tausend Hektar Wald. Es kommen im Jahr eine Million Bäume hinzu. Man kann auch sagen 1,3 Bäume pro Hektar Staatswald pro Jahr werden jetzt neu gepflanzt, damit kann man dem Waldsterben nicht einmal ansatzweise hinterherpflanzen."

Crashkurs statt solider Ausbildung

Den Hut tief in die Stirn gedrückt geht Erk Brudi an den verbliebenen alten Linden einer frisch abgeholzten Allee bei Seeshaupt am Starnberger See entlang, betrachtet die ausladenden Kronen, die feste Rinde. Brudi ist staatlich vereidigter Baumgutachter, betreut die grünen Spezialfälle im Freistaat, wie die hohle Königslinde am Schloss Linderhof, die noch König Ludwig II. gesehen hat. Die stattlichen Linden hätten im vergangenen Frühjahr nicht gefällt werden müssen, ist er überzeugt:
"Im Prinzip wurde hier ein Gutachten erstellt von jemandem, der außerhalb seines Sachgebietes gearbeitet hat, der eben nicht spezialisiert ist auf die Beurteilung von Altbäumen, und der in einem fünftägigen Crashkurs eine Baumkontrolleursausbildung gemacht hat."
Brudi kann seine Wut kaum verbergen. Keiner dieser gut 100 Jahre alten Bäume war gefährdet oder gefährdete den Straßenverkehr. Alte Linden gehören zu den Bienenweiden und Biotopbäumen schlechthin, werden gut 200 Jahre alt. Ob Bäume krank oder brüchig sind, das zu beurteilen, dazu gehöre eine solide Ausbildung, die heute immer häufiger durch billige Crashkurse ersetzt werde. Eine einheitliche deutschlandweite Regelung für Baumgutachter und -sachverständige gibt es nicht, sagt er:
"Es bestehen nicht so viele diese Sachkundeprüfung und diese Leute gehen dann in andere Bundesländer und dort, vor allem in Norddeutschland werden diese Leute einfach durchgewunken."

Extra zum Schutz der imposanten Lindenallee am Starnberger See wurde eine Umgehungsstrasse durch den angrenzenden Wald gebaut, Rodungen inklusive, 6 Millionen Euro Steuergelder, 2015 eröffnet. Privateigentümer der abgeholzten Allee hier: Milliardär August von Finck, vertreten durch Vermögensverwalter Wolfgang Lazik, bis vor kurzem der oberste Beamte und administrative Kopf des bayerischen Finanzministeriums unter Söder, für den heutigen Ministerpräsidenten früher auch im Umweltressort tätig.
Erk Brudi steht an einer Landstraße. Rechts und Links stehen Bäume.
Erk Brudi, der staatlich geprüfte Baumgutachter ist verärgert über die Abholzung einer ganzen Allee.© Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer

Artenschutzgesetz als Todesurteil für Bäume

Nicht nur Alleen, auch etliche Obstbäume auf geschützten Streuobstwiesen in Franken fielen der bevorstehenden Verabschiedung des bayerischen Artenschutzgesetzes zum Opfer - Landwirte wollten sich der drohenden Biotoppflege entziehen, ist der Bund Naturschutz überzeugt. Das neue bayerische Artenschutzgesetz als Todesurteil für Bäume. Jetzt wird mühsam wieder angepflanzt, mit dabei Forst- und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber:
"Ja, da sind auch mir leider die Hände gebunden. ich kann nicht im Land umherfahren und alle davon abbringen. Es ist immer eine Zielabwägung, was braucht die Kommune, was brauchen die Menschen vor Ort und ich denke, dass unsere Mandatsträger das gut entscheiden werden."
Im Jahr 2018 wurden in Bayern 390 Hektar Wald gerodet, gut über 500 Fussballfelder. Dafür müssen zwar Ausgleichsflächen bereitgestellt werden. Diese kann man sich aber auch über Ökopunkte kaufen. Die Folge: In dem allgäuer Örtchen Schwabsoien wurde ein Fichtenwald gerodet, um einen Mischwald anzupflanzen. Dafür erhält die Gemeinde vom Landratsamt Ökopunkte, die mehrere hunderttausend Euro Gewinn in der Gemeindekasse bedeuten, wenn diese Ökopunkte an Bauherren verkauft werden, die Gewerbegebiete planen. Oder die Ökopunkte werden bei ebay meistbietend versteigert.
"Ich finde diese ganzen Aktionen, Ministerpräsident und darüber hinaus, dass Bäume jung gepflanzt werden, bis diese Bäume den Schutz gewährleisten und diese Luftreinhaltung, Schattenbildung und die ganze Partikelfilterung aus der Luft rausnehmen, das wird zwei Generationen über dauern. Man muss das erhalten was da ist."

Freistaat gibt Verantwortung an Kommunen weiter

Hans Seidl, CSU-Bürgermeister von Maisach braucht keine Ökopunkte, um sich nachhaltig zu fühlen. Gegen den Willen vieler Bürger setzte er im Herbst 2019 die Einsetzung einer Baumschutzverordnung durch, die für jeden gefällten Baum eine Ersatzpflanzung fordert, unabhängig von der Klimawaldstrategie aus der Staatskanzlei.
Andere Gemeinden und Städte wie Schweinfurt, Ansbach und Starnberg schafften sie in den vergangenen Jahren trotz Klimawandel ab. Eine bayernweit gültige Baumschutzverordnung existiert nicht. Nur 94 von 2056 Gemeinden haben überhaupt eine.
"Für uns ist die Zuständigkeit und Verantwortung in einem föderalen System natürlich auch in der Kommune zu sehen."
Der Freistaat wolle sich bei Ortsentwicklungsplanungen, bei denen Bäume fallen, nicht einmischen, betont Umweltminister Torsten Glauber:
"Diese Verantwortung im föderalen System geben wir natürlich auch gern an die Kommunen weiter, die fordern die von uns auch ein."

Mehr Bäume als Wahlkampfthema

Die Bevölkerung ist gespalten. Auf der einen Seite die örtliche Wirtschaft, die Gewerbegebiete fordert, weil Handwerksbetriebe aus Wohngebieten geklagt werden und nicht mehr wissen wohin.
Auf der anderen Seite der Bund Naturschutz, Fridays-for-Future-Aktivisten und nachhaltig denkende Bürger. Dort sprießen die Ideen, die Aktionen für mehr Grün gehen nicht aus. Schließlich ist Wahlkampf in Bayern - Kommunalwahlkampf.
Mehr Bäume rund um die Wohnhäuser in Schwabing. Mehr Bäume auf dem Friedhof in Fürtenfeldbruck. Im benachbarten Eichenau soll es mehr Bäume an der Hauptstraße geben und auch an den Einmündungen der Seitenstraßen.

Die Oberbürgermeister-Kandidatin der Grünen in Freising bei München, Susanne Günther, will, dass jeder zoag'roaste Neubürger - zwei Bäume pflanzen soll, der Klimaobulus für den Einzug in die Domstadt gewissermaßen. Ob sie bei jeder Pflanzung selbst dabei sein will und diese Zugezognen-Bäume dann umarmt, wurde nicht mitgeteilt.
Vielleicht überlässt sie das lieber dem Ministerpräsidenten.
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